Ratsch-Bladl Archiv – DAV Alpenkranzl Erding Alpenkranzl-Informationen 11/2006-05/2009

28.4.2009

Der Berg ruft – per Handy

Filed under: Allgemein — admin @ 08:04

Letztens ist mal wieder so ein Mobilfunknetz zusammengekracht, und der eine oder andere war eine Zeitlang nicht erreichbar. Ja, da war was los. Nicht erreichbar! In der heutigen Zeit! Das geht doch nicht!

Die permanente Erreichbarkeit ist eine Grundvoraussetzung für das menschliche Zusammenleben. Aus Reue hat der Netzbetreiber dann auch sofort seinen Kunden einen ganzen Tag lang Gratis-SMS geschenkt. SMS sind heute das, was früher einmal Postkarten waren: „Schöne Grüße, Deine Uschi.“ 85 Millionen solcher Gratis-Mitteilungen wurden am Sonntag verschickt. Schöne Grüße von hier und da, an alle und bis bald.

Wer sich demnächst einmal in die höchsten Höhen des Himalaya verlieren sollte, der wird auf seinem Handy vielleicht folgende Kurznachricht lesen können: „Willkommen auf dem Mount Everest. Sie nutzen das günstige Reiseversprechen unserer Telefongesellschaft. Eine Gipfel-SMS kostet Sie nur 35 Cent.“ Schon zu den Olympischen Spielen in Peking 2008 hatte eine chinesische Firma hier auf 6500 Metern einen Sendemast errichtet. Vor ein paar Tagen dann eröffnete auf 5180 Metern ein Internet-Café. Und nun plant ein nepalesischer Netzbetreiber einen Funkmast gleich neben dem Basislager. Die Hundertschaften kleiner Messners, die in dieser unwirtlichen Gegend ihren ultimativen Kick suchen, dürfen sich in Zukunft somit noch sicherer fühlen als bisher. Dank der technischen Infrastruktur können sie sich nämlich jederzeit persönlich einen Rettungshubschrauber bestellen. Zum Beispiel, weil sie mit der Oma telefonierten, statt sich zu sichern. Oder mit klammen Fingern der Freundin eine SMS schrieben – und dabei in eine Spalte stürzten. Die Bergung zahlt bestimmt der Auslandskrankenschutz. Und sollte das nepalesische Telefonnetz mal kurz zusammenbrechen, so gibt es sicher die Möglichkeit, später ein Sherpa-Bildchen gratis in die Heimat zu mailen. Schöne Grüße, Deine Uschi.

Für alle, die jetzt schon das Handy-Gequatsche an Bergseen, auf Almwiesen und in einsamen Meeresbuchten stört, bleibt in diesen Zeiten neben Bergwerksstollen nur noch der Ozeanboden als netzloses Refugium übrig. Nur hier kann man noch Ruhe und Frieden finden. Nur hier muss man nicht darüber nachdenken, ob ein einsam vor sich hinquasselndes Gegenüber unter einer Persönlichkeitsstörung leidet oder über eine telefonische Ohrbrosche gerade seinen Geschäftspartner kontaktiert. Wer hört denn noch, wenn er ins Handy schreit, dass der Berg ruft? „Der hügel wo wir wandeln liegt im schatten / Indes der drüben noch im lichte webt“ dichtete vor fast 100 Jahren Stefan George. Liest ein Lehrer heutzutage seiner Klasse diese Zeilen vor, so kann die Deutung doch nur lauten: „Ey, der Alte hat ’n Funkloch.“
 
(aus: Süddeutsche Zeitung, Das Streiflicht, vom 28.4.2009)

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